Kunst im Wald

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Schloss Wiligrad

Mecklenburg-Vorpommern hat ein Problem, seine Stärken über den engsten Umkreis hinaus zur Geltung zu bringen. Das gilt besonders für die ländlichen Regionen abseits des Küstentourismus.

Mitten im ländlichen Nirgendwo zwischen Wismar und Schwerin liegt ein Kleinod der mecklenburgischen Herrschaftsarchitektur: das Schloss Wiligrad. Eigentlich ein ganzes Ensemble, das sich der Herzog Johann Albrecht Ende des 19. Jahrhunderts zu Wohn- und Repräsentationszwecken erbauen ließ. Verkehrsgünstig für die Metropolregion Hamburg gelegen, können leider gerade auch Hamburger mit dem Namen Wiligrad meist nichts anfangen.

Und das, obwohl der Kunstverein Wiligrad seit 30 Jahren hochklassige Ausstellungen organisiert und Besucher mit einem Galerie-Angebot lockt, das bei hoher Qualität von Porzellan und Schmuck, Keramik und Bronze bis hin zu Grafik und Bildern mit einem attraktiven Preis-Leistungsverhältnis lockt. Zudem gibt es einen herrlichen Park mit einem gigantischen Blick auf den Schweriner See, der allein schon einen Besuch des Schlosses rechtfertigt. Mit den landestypischen Einschränkungen bei den Öffnungszeiten findet man hier sogar ein sehr ordentliches Angebot an Essen und Trinken.

Zurzeit findet dort eine eigentlich national beachtenswerte Ausstellung unter dem Titel „Verwerfungen“ mit Werken des Malers Udo Scheel statt. Geöffnet ist sie noch bis zum 10. März 2024.

Als werbende Einstimmung sei hier meine Ansprache zur Eröffnung dokumentiert:

Einführung „Verwerfungen“, Kunstverein Wiligrad, 20.1. 2024

Liebe Hanka Polkehn, verehrter Udo Scheel, liebe Gäste,

wer „sich einigermaßen freihält von modischen Wertungen und Vorurteilen des Kunstbetriebes, müsste vor gewissen Bildern von Udo Scheel nicht nur stutzen, sondern in Bewunderung verharren und sich fragen, wie kommt es, dass ich von diesem Maler nicht schon bei anderen Gelegenheiten Bilder gesehen habe“. So Karl Otto Goetz, der berühmte Kunst-Professor an der Kunstakademie Düsseldorf, Lehrer von Gerhard Richter, Sigmar Polke oder HA Schult. Die Worte stammen schon von 1975. Obwohl in der Zwischenzeit Udo Scheels Werk quantitativ und qualitativ enorm gewachsen ist, befand auch ich mich bis vor zwei Jahren in dieser Unkenntnis. Ich hoffe oder fürchte, dass ich da nicht der einzige im Raum bin.

Kennengelernt habe ich Udo Scheel nicht über eine Ausstellung, obwohl es dazu in Wismar in der Gerichtslaube, dem Zeughaus, dem Baumhaus und der Georgenkirche im letzten Vierteljahrhundert Gelegenheiten gegeben hätte. Wir sind in Kontakt gekommen über Udo Scheels Frage, ob und wie eine Stiftung helfen könnte, sein Werk für Mecklenburg-Vorpommern zu erschließen und zu bewahren. Da musste ich mich kundig machen.

Ich könnte jetzt die Stationen seiner Karriere würdigen: Studium an der schon erwähnten Kunstakademie Düsseldorf, wo auch Beuys und Uecker sich tummelten, sowie an der HfbK in Hamburg. Mit 32 Jahren Professor für Malerei und Grafik sowie Gründungsleiter des nordrhein-westfälischen Instituts für Kunsterziehung in Münster. Das war zunächst Filiale der Kunstakademie Düsseldorf und wurde dank Scheels Einsatz seit 1987 selbstständige Kunstakademie Münster, deren Prorektor und Rektor er schließlich wurde. Vielfältige internationale Lehr-, Arbeits- und Ausstellungsprojekte zum Beispiel in Oslo, Washington, Istanbul, Brüssel, Minsk, Straßburg, Orleans, Wien, Basel sowie in China. Über 100 Einzelausstellungen. Wohl zwei Dutzend Einzelkataloge. Preise und Ehrungen. Das sind Äußerlichkeiten.

Wer mit Udo Scheel ins Gespräch kommt, erlebt einen mitteilungsfreudigen Menschen mit monumentaler Bildung. Bildung, an der er sein Gegenüber unaufdringlich-freundlich teilhaben lässt. Udo Scheel ist Kunsterzieher – nicht nur per Staatsexamen, sondern mit Leib und Seele. Ich träume noch davon, ihn zu Vorträgen über Kunstgeschichte für ein interessiertes Publikum zu animieren.

Über Udo Scheels Werk als Maler und Grafiker haben sich Berufenere geäußert. Manfred Schneckenburger zum Beispiel, der zweifache Kurator der Documenta in Kassel und Udo Scheels Amtsvorgänger als Rektor in Münster. Scheel wurzele tief in der Tradition der Malerei, ohne malender Kunsthistoriker zu sein. In seinen Bildern seien Einflüsse vom Quattrocento über den Symbolismus, über Ensor, Magritte, die Surrealisten bis zur informellen Aktionsmalerei der 50er Jahre erkennbar. Dabei sei er einer der wenigen deutschen Maler, die Lifestyle – ja welcher Zeit eigentlich? – kultivieren und ironisieren. Die Cocktailgläser, Möbelstücke, Kaffeetassen und reichlich Frauenbeine in sich kreuzenden Diagonalen, stürzenden Perspektiven begegnen uns immer wieder. Eine ironisierende Lust am Mondänen und Erotischen.

„Udo Scheel greift auch auf die schnittige Stilisierung von Modezeichnung und das Sentiment alter Ufa-Filme zurück. Das spitzhackig beschuhte Personal dient so keineswegs nur als schlanker Richtungsweiser in die Tiefe oder über die Fläche. Es stimuliert eine ebenso vitale wie dekadent angehauchte, ebenso noble wie abgewetzte, aus den Fugen geratene Welt als demi monde“, als Halbwelt, schreibt Schneckenburger treffend.

Das passt zur Persönlichkeit des Malers, eines durchaus lebenslustigen wie reflektierten und sympathisch-ironischen Grandseigneurs – mit manchmal anstrengendem Selbstbewusstsein. Aber das braucht einer wohl, der über Jahrzehnte seinen eigenen Stil und seine eigene Weltsicht gegen alle Moden des Kunstbetriebs behauptet. Ein erratischer Einzelgänger, der gegen den Strom schwimmt, heißt es immer wieder.

Die Ironie, der Schalk, nimmt den Bildern gleichzeitig das Eindeutige einer Zeitdiagnose, gar einer irgendwie politischen Botschaft. Das macht die Bilder, die Sie hier aus einem halben Jahrhundert des Schaffens – bis hin zu jüngsten Werken – sehen, auch überraschend zeitlos. Einige kleinere Formate ruhen in sich selbst, aber die größeren inszenieren ein Chaos, das sich dem schnellen Blick nicht erschließt. Erst längere Versenkung führt Abgründe wie Witz zutage, lässt über den Fisch in der Hand, das Mäuschen oder den wie eine Theke polierten Sarg staunen.

Als verstörend – Verwerfungen – erlebe ich manches, als Spiegelung einer Welt, die aus den Fugen gerät, die stürzt. Oder geht es eher um unsere inneren Zerrissenheiten? Das Verständnis nicht nur der äußeren Realität, auch unserer Träume? Es ist sicher kein Zufall, dass Udo Scheel Anfang der Achtzigerjahre zu den Pionieren der kunsttherapeutischen Arbeit an der Westfälischen Klinik für Psychotherapie gehörte.

Eine andere Überlegung. Wiligrad gilt als ein Ausstellungsort, der besondere Erfolge mit Künstlern aus dem Osten feiert. Wer sind die Unseren, wer sind die Anderen, könnte man fragen – und wozu gehört Udo Scheel eigentlich? Das berührt Aspekte des Stils, der Ausbildung, der jeweiligen Lebensumstände, die Prägung durch je unterschiedliche Sinneserfahrungen von Landschaft, Architektur und sicher auch Gesellschaft. Allerdings: Das Eigene, das Unsere erkennt man nur in der Begegnung mit dem Anderen. Was wäre die europäische Kunst ohne die Auseinandersetzung mit anderen Kulturkreisen?

Das Eigene kann ohne das Andere nicht bestehen – eine Frage von Dialektik und Balance. Das wird schwieriger in einem Zeitalter scheinbar totaler Individualisierung, in dem globale Trends und Moden alles an kleinräumig geprägter Kultur durchweben, in einer Zeit weltweiter Event-Vermarktung von Kunst. Verstehen wir die Bildwelt Ai Weiweis? Und wie fremd ist sie den Chinesen? Kommt es überhaupt darauf an, oder ist allein wichtig, was wir mit unseren Augen darin sehen? Umgekehrt frage ich mich: Warum kaufen Chinesen Udo Scheels Bilder und was sehen sie in Peking oder Panjin darin?

Auf uns bezogen: Udo Scheel ist ein Künstler, ein Kunsterzieher, ein Intellektueller, der nicht nur im Westen, der auch hier geprägt wurde. Wenn bei keiner Gelegenheit versäumt wird, seinen Geburtsort Wismar im Jahr 1940 zu erwähnen, könnte das eine biografische Äußerlichkeit sein. Aber Udo Scheel ist im tiefsten Herzen Mecklenburger, eine besondere Art von Spätheimkehrer, der nach dem Tod seiner Frau – der Grafikerin und Fotografin Gunda Scheel – mit 83 Jahren seinen wohlsituierten Hausstand in Münster aufgelöst hat, um in seine Heimatstadt Wismar zurückzukehren. Nicht in ein ererbtes Haus oder ein gemachtes Bett, sondern gemietete Wohn-, Atelier- und Depoträume.

Die Familie ist 1949 aus Wismar in den Westen, nach Hamburg, geflohen. Da war Udo neun. Aber Motive seiner Wismarer Kindheit haben ihn ein Malerleben lang begleitet. Das hat er selbst analysiert – in seinen 2020 erschienenen autobiografischen Skizzen „Mannich“. Da beschreibt Udo Scheel anrührend lauter Szenen aus seiner Wismarer Kindheit, die in späteren Bildelementen wieder anklingen. Bis zum Hut, den Sie hier mehrfach finden, als Reminiszenz an den Großvater. Das ist ein mich ganz persönlich berührendes Stück Kindheitsrückblick. Ein Rückblick, den man in der Scheelschen Manier leicht ironisch lesen kann – aber auch als Liebeserklärung an seine Mecklenburger Heimat.

Ein Detail, das uns zu den Ursprüngen des Malers Udo Scheel führt, sei kurz vorgetragen:

„Onkel Siegfried war Kunstmaler, ein Amateur, also ein wahrer Liebhaber der Malerei. Im Hauptberuf war er ausgebildeter Dekorations- und Schriftenmaler und arbeitete bei den städtischen Verkehrsbetrieben. Es blieb ihm nicht viel Zeit, seiner Liebhaberei nachzugehen. Das Schlafzimmer, in dem er von Zeit zu Zeit malte, war beengt. Neben dem monumentalen Ehebett fand das Tischchen mit den Malsachen so gerade eben noch Platz. Tuben mit Ölfarben, Rund- und Flachpinsel, Malmittel und Malkartons kamen vom Schwarzen Markt in Berlin. Ebenso die kleinen kostbaren Näpfchen mit Aquarellfarben von Schmincke. Ich durfte die Farben ausprobieren…. Wenn es hieß, Onkel Siegfried malt, rannte ich schnell nach oben. ‚Darf ich zugucken?‘ Seestücke, heimkehrende Fischerboote, ein Vollschiff vor dem Wind, eine Mühle, ein Blütenbaum, Alpenveilchen. Das waren seine Themen.“

Die für Udo Scheel wegweisende Begegnung mit dem Dekorationsanstrich erfolgte übrigens genau zu der Zeit, als ein gewisser Günther Uecker – zehn Jahre älter als Scheel – nebenan in Grevesmühlen in die Lehre ging – als Anstreicher, speziell für die Propaganda-Arbeit.

Dies, meine Damen und Herren, ist in Mecklenburg-Vorpommern die erste Einzelausstellung für Udo Scheel außerhalb von Wismar und Plüschow. Ich hoffe, Sie stimmen nach der Besichtigung mit mir überein: Der Kunstverein Wiligrad kann stolz auf seinen Beitrag sein, diesem inspirierenden Mecklenburger Maler und Grafiker endlich auch in unserem Land die verdiente Aufmerksamkeit zu schaffen.

Und nun wünsche ich Ihnen ein Sinne stimulierendes Sehbeben!

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