Eine gemordete Landschaft – ein Auftragsmord!

 Foto: fabersam über pixabay

Die Auseinandersetzung um die Solarfelder im Naturpark Sternberger Seenland geht weiter. Wir berichteten darüber zuerst im Dezember – siehe hier. Den neuesten Offenen Brief vom März 2024 dokumentieren wir hier. 

Unser Autor Gerhard Vilmar hat sich grundsätzliche Gedanken gemacht, die auch andernorts Beachtung verdienen (Erstabdruck in „Kranichpost“, Nr. 8, 3.5. 2024)

Der Mensch gibt der Landschaft einen wichtigen Aspekt ihrer Identität. Die Landschaft findet ihre Entsprechung im Selbsterleben der Menschen. Beide wachsen zusammen und bedingen sich gegenseitig – die Umgebung findet ihren Widerhall im Inneren der Bewohner. Der Lebensraum ist identitätsstiftend.

Der Charakter von Landschaften ist im Laufe von Jahrmillionen entstanden. Die Menschen, die im Naturpark Sternberger Seenland wohnen, sind mit der Region seit Generationen verbunden oder sind ganz bewusst hergezogen, weil sie das hiesige Landschaftsbild und seine Natur schätzen. Sie leben gerne hier und genießen die Ruhe fernab der Städte und Industriezentren.

Sozialpsychologische Untersuchungen bestätigen, dass Zugehörigkeit und Bindung, wie sie von den Bewohnern erlebt und gelebt werden, die wesentlichsten Bedingungen für psychisches Wohlbefinden sind. Sie geben Schutz, Hilfe, Sicherheit und vermitteln Beständigkeit. Im vertrauensvollen Miteinander entwickelt sich Gemeinsamkeit, Konstanz und Ruhe.

Aber nicht nur die gewachsenen sozialen Strukturen geben das Gefühl von Zugehörigkeit, sondern auch die vertraute, umgebende Landschaft mit ihrer einmaligen Identität. Die unverwechselbaren Formen, Farben, Geräusche und Gerüche, die spezifische Tierwelt und die dynamische Abwechslung im Werden und Vergehen geben dem inneren Erleben einen verlässlichen Rahmen und bieten einen unvergleichlichen Naherholungswert.

Neurobiologische Forschungsergebnisse belegen, dass Monotonie zu geistiger Verflachung führt. Die Hirnfunktionen verkümmern, denn das Gehirn ist beständig auf der Suche nach neuer Nahrung, neuen Anreizen. Eine dynamische Umgebung fördert die innere Dynamik. Und äußere Monotonie, z.B. im Blick auf tote, schwarze Solarfelder, setzt sich im Innenleben fort.

Der international renommierte Sozialwissenschaftler Alexander Mitscherlich, der in den 1960er-Jahren zu den führenden Intellektuellen in Deutschland gehörte, formulierte es in Zusammenhang mit der uniformierten Monotonie der Wohnblocks: „Der Mensch wird so, wie die Stadt ihn macht, und umgekehrt.“  Diese Erkenntnis lässt sich uneingeschränkt auf landschaftliche Verhältnisse übertragen. Denn die Umgebung prägt das Selbsterleben! Die Lebensumstände und das Lebensumfeld bestimmen das Zusammenspiel von Denken und Fühlen.

Kein Bewohner des Naturparks Sternberger Seenland mag in Betonwüsten leben, inmitten von Gebäuden, die nachts nicht erleuchtet sind, weil sie nicht belebt sind. Und keiner mag in einer verschandelten Landschaft leben, umzingelt von Solarwüsten, eingekesselt von einer schwarzen Masse, einem schier endlos erscheinenden Areal lebloser, artifizieller, technischer Strukturen.

Die geplanten massiven Eingriffe in die Landschaft sind keine vorsichtigen und angemessenen  Maßnahmen, die dem inneren Tempo der Bewohner entsprechen. Plötzlich ändern Projektierer und Investoren den Charakter der Landschaft nach Gewinnaussichten. Es sind nicht mehr diejenigen, die dort leben, die bestimmen, wie es in ihrer Region aussehen soll, sondern diejenigen, die in dieser Region Profite generieren wollen.

Es ist also nicht mehr der Wert der Landschaft als lebendiger Lebensraum, sondern nur noch eine auf Fläche und Lage reduzierte Basis für Gewinne. Plötzlich steht nicht mehr die gewachsene Natur im Vordergrund, sondern die großen Flächen sind der Vernutzung und kommerziellen Ausbeutung überlassen.

Essere est respici – Sein ist Gesehen-Werden. So lautet eine philosophische Sentenz des Mittelalters. Dadurch, dass ich gesehen, von anderen wahrgenommen werde, dadurch kann ich mich lebendig fühlen. Menschen brauchen lebenslang das Gefühl, dass sie bemerkt werden, dass wahrgenommen wird, dass es sie gibt.

Die aktuelle Entwicklung der geplanten Gigaprojekte ist aber eher vom Gegenteil gekennzeichnet: die meisten Bewohner fühlen sich mit ihren Fragen und Sorgen nicht ernst bzw. gar nicht wahrgenommen. Dabei sind sie durchaus bereit ihren Beitrag zur Energiewende zu leisten – auch deutlich über die regional benötigten Energiemengen hinaus, obwohl schon durch die vielen Windenergieanlagen in der Nähe bedrängt.

Es besteht auch Verständnis dafür, dass dies nicht ohne Einschränkungen in den persönlichen Lebensbereichen gehen kann. Aber die jetzt geplanten Photovoltaik-Freiflächen bedeuten einen nicht mehr vertretbaren Einschnitt in die vertraute Natur, in den Charakter der Landschaft.

Wenn ein Naturpark, der ein schützenswertes Allgemeingut ist, von einem Erholungsgebiet partiell zu einer Industrieanlage verändert wird, dann wird  die Bereitschaft der Bewohner zur Teilhabe und Mitgestaltung der Energiewende torpediert und das kulturhistorische Kontinuum der Landschaft nachhaltig verletzt – und damit auch das Selbsterleben der Bewohner.

Kontakt: gerhard.vilmar@t-online.de

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