Bürgerzorn gegen Solarwüsten

Matthias Kornfelder* fühlt sich von seinen Gemeindevertretern verschaukelt. Vor einigen Jahren wandte er der Großstadt den Rücken zu und suchte sich einen ruhigen Platz im Sternberger Seenland. Er möchte den Ruhestand inmitten einer kulturhistorisch einmaligen Landschaft genießen. „Ich hatte genug von der Betriebsamkeit der Großstadt, von Lärm und Hektik, suchte Natur und Ruhe. Ich wollte wieder Weite, auch am nächtlichen Sternenhimmel, und wollte mit einem Schritt vor die Haustür direkt in der Natur sein, Radwanderungen unternehmen und mich an der vielfältigen Tierwelt erfreuen. Hier sind Landschaft und Menschen noch stimmig.“

Doch bald könnten ihm schwarze Solarfelder direkt vor der Haustür alles verleiden. Statt Naturpark Sternberger Seenland soll für die kommenden Jahrzehnte ein sogenannter „Klimapark Sternberger Seenland“ entstehen. Ein Zusammenschluss von 54 Stadtwerke aus Westdeutschland plant auf 528 Hektar inmitten des Naturparks gigantische Photovoltaik-Freiflächen. „Manchen Orten droht ein toter Rahmen, sie werden von schwarzen Flächen eingekesselt, Landschaft wird zerschnitten,“ sagt Rebecca Sonnenschein*. Und damit steht sie nicht allein. Immer mehr Bürger drücken ihre Wut darüber aus, dass in meist stillschweigend vorbereiteten Aktionen große Flächen für Solarparks ausgewiesen werden. Und dass die Landbesitzer teilweise sogar Gemeindevertreter sind. So ist die Trennung von Amt und Eigeninteressen nicht gegeben.

Es handele sich bei allen Flächen, so argumentieren die Planer der Fa. Mapronea, nur um landwirtschaftlichen Grund mit Werten von weniger als 40 Bodenpunkten, also von minderer Qualität. Aber zu Wert und Ertrag haben die Bürger im Sternberger Seenland ganz andere Vorstellungen. Für sie haben Heimatgefühl, Naherholungswert und Naturverbundenheit einen Wert. Für sie hat die Identität der Landschaft und damit auch ihre eigene Identität einen hohen Wert.

Deshalb rührt sich in den letzten Monaten zunehmend Widerstand, denn das Ausmaß des Projekts wird vielen erst jetzt klar. Es geht schließlich um einen der 13 Naturparks in Deutschland, die mit dem Siegel „Qualitätsnaturpark“ ausgezeichnet wurden. „Es kann doch nicht angehen, dass das Landschaftsbild eines Naherholungsgebiets mit nachhaltigem Tourismus von Solarwüsten verschandelt wird, dass nicht mehr die Bevölkerung entscheidet, wie es in ihrer Umgebung aussehen soll, sondern anonyme Finanziers aus anderen Bundesländern,“ sagt Paul Vogelsang*. „Wir brauchen mehr Energie, aber es braucht auch Rücksichtnahme. Hier leben Menschen. Das scheinen die Planer inmitten ihrer Zahlenwelt zu vergessen.“

Die großen, zusammenhängenden landwirtschaftlichen Flächen ziehen Investoren aus Westdeutschland an, wecken bei den Landbesitzern mit hohen Pachtzinsen Begehrlichkeiten. 30 Jahre Einnahmen ohne Verantwortung und persönlichen Einsatz, vielleicht sogar 40 Jahre, denn die Lebensdauer der PV-Module verbessert sich beständig. Und für die Gemeinden würden noch 0,2 Cent je KWh abfallen. Das könnte dem klammen Haushalt helfen. Argumente, denen gegenüber sich Rebecca Sonnenschein* auch offen zeigt. Genauso wie ihre Mitstreiter von der Bürgerinitiative wendet sie sich nicht kategorisch gegen Photovoltaik-Freiflächenanlagen. „Wir sind durchaus bereit, ein gewisses Maß an Veränderung mitzutragen,“ sagt er. „Sogar deutlich über die hier vor Ort benötigte Energiemenge hinaus. Aber wir wollen mitreden, auch über die Standorte und die Flächen. Und wir möchten verhindern, dass diese einmalige Landschaft zersplittert und mit toten schwarzen Flecken verschandelt wird. Wer möchte denn noch in meine Ferienwohnung kommen, wenn der Wanderweg über mehr als 2 km an einer Solarwüste entlangführt? Wer ersetzt mir den Wertverlust, sollte ich mein Haus einmal verkaufen müssen? Hier will doch dann keiner mehr wohnen!“

Ihr Nachbar Matthias Kornfelder* engagiert sich ebenfalls in der Bürgerinitiative. Er hat ein Banner aufgehängt, sammelt Unterschriften und verteilt Flyer – alles persönlich, an der Haustür, am Gartenzaun. „Denn manche haben das noch gar nicht richtig mitbekommen. Die wissen gar nicht, was uns hier bevorsteht. Ab 2028 droht uns hier eine zerstückelte Natur, die doch schon durch die vielen Windparks in der Nähe verschandelt ist. Die Landbesitzer sollen doch eigentlich Treuhänder ihrer Ländereien sein, achtsam mit der Natur umgehen und auch die Bewohner berücksichtigen. Aber was hier jetzt geschieht ist doch wie nach der Wende: ein Ausverkauf an den Westen.“

Unübersehbar wandelt sich aktuell das Gefühl politischer Machtlosigkeit als ein Erbe aus DDR-Zeiten hin zu Bürgerzorn, der bei den Informationsversammlungen der Gemeinden deutlich wird. Doch die Projektanten der Fa. Mapronea, die für die Planung und die notwenigen Genehmigungsschritte verantwortlich sind, können das nicht nachvollziehen. Denn schließlich ginge es doch auch um einen Gewinn für die Gemeinden, um eine verbesserte Infrastruktur und Arbeitsplätze. Doch viele betroffene Bürger nehmen ihnen das nicht ab, trauen dem nicht so recht. Und sie merken, dass es ihnen an juristischer Kompetenz im Umgang mit solchen Projekten fehlt, zumal der gesetzliche Rahmen mangelhaft ist. Aber sie lassen sich nicht entmutigen. Ihre Internetrecherchen bestätigen den Verdacht, dass nicht alles so rosig ist, wie es von Mapronea oder Trianel, dem Zusammenschluss der Energieversorger aus NRW, geschildert wird. In anderen Landkreisen wurden bereits deutlich negative Erfahrungen gemacht.
Das will man hier verhindern.

In dem offenen Brief des Bürgerforums Sternberger Seenland an die Projektanten und Investoren, den Landtag, die zuständigen Ministerien, des Landesamts für Umwelt, Naturschutz und Geologie usw. wird ein Runder Tisch gefordert, eine Lösungssuche ohne zeitlichen Druck. Aktuell liegen die Planungsunterlagen zur Einsichtnahme in den Gemeinden und im Internet vor. Nur jetzt, in einer Zeitspanne von einem Monat, können die Bürgerinnen und Bürger direkt ihre Einwände geltend machen. „Aber wir brauchen sehr viel mehr Zeit, um eine für Umwelt und Menschen vertretbare Lösung zu suchen. Vielleicht auch ein ganz anderes Konzept, z.B. autarke Gemeinden. Dafür gibt es bereits gelungene Beispiele,“ sagt Matthias Kornfelder*. „Wir brauchen jetzt Deeskalation, damit der soziale Frieden gewahrt bleibt. Und dafür braucht es mehr vertrauensbildende Maßnahmen, vor allem mehr Transparenz, und viel Geduld mit einem zeitlich offenen Rahmen. Denn wenn unsere Heimat nur noch die Basis für Gewinne darstellt, dann werden damit auch die Bewohner*innen entwertet.“
* die Namen sind der Redaktion bekannt, hier aber aus Gründen des
Persönlichkeitsschutzes geändert

Den „Offenen Brief“ finden Sie hier

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