Eine wissenschaftliche Untersuchung über Frauen, die in ländlichen Räumen wohnen bleiben? —»Da bekomm se doch nur ne Freakshow!«

Dass insbesondere Mecklenburg-Vorpommern vom demographischen Wandel und damit einhergehend einer Veränderung der Bevölkerungsstruktur betroffen ist, ist nicht neu. Ausschlaggebend hierfür ist insbesondere eine zunehmende Langlebigkeit und Alterung und auch eine alters- und geschlechtsspezifische Abwanderung. Seit den 1990er Jahren waren es vor allem junge Frauen, die das Bundesland verlassen haben.

Über jene Personen, die gehen, wissen wir sehr viel: wohin gehen sie, warum gehen sie, wer geht überhaupt? Aber über diejenigen, die schon immer in Mecklenburg-Vorpommern wohnen und verbleiben wollen, schallt vornehmlich ein mediales Echo. Grund genug an dieser Stelle genauer hinzusehen und zu hinterfragen: Wie relevant ist hier eigentlich die Frage Gehen oder Bleiben? Und wie gestaltet sich das Alltagsarrangement von Frauen, die schon immer in ländlichen Räumen wohnen? Hierfür führe ich biographische Gespräche.

In diesen Gesprächen erfahre ich auch ganz konkret, welches Selbstbild in Bezug auf den ländlichen Raum entsteht und auch mit welchen Vorurteilen, mit welchem Fremdbild, Bewohnerinnen konfrontiert werden. Dafür fahre ich in kleine Orte Mecklenburg-Vorpommerns, die schwer erreichbar sind. Und mit schwer erreichbar meine ich, wenn mir die Gesprächspartnerinnen bereits am Telefon sagen „Aber rufen Sie nochmal in Malchin durch, wenn etwas ist, bei uns haben sie keinen Empfang“ oder „Vorsichtig bei der scharfen 90 Grad-Sandstein-Kurve, die hat schon viele aus der Bahn geworfen.“ – mit Grüßen an Juli Zeh! In ihrem Land-Roman „Unter Leuten“ spielt ein Autounfall in einer steilen Kurve eine wichtige Rolle.

Sofern ich mein Dissertationsprojekt vorstelle, sind die Reaktionen darauf sehr unterschiedlich. Der Kommentar in der Überschrift stammt beispielsweise von einem renommierten Professor. Dass an dieser Stelle unterschiedliche Vorstellung über Personen, die schon immer in ländlichen Räumen leben, auftauchen, halte ich zunächst nicht für ungewöhnlich. Was fällt Ihnen ein, wenn Sie die Worte „Gebliebene“, wahlweise auch „Zurückgebliebene“ lesen? Im gleichen Zusammenhang „Ländlicher Raum“, „Peripherie“ oder auch konkret „Ostvorpommern“? Vermutlich begegnen Ihnen diese Worte in (über-)regionalen Zeitungen und Zeitschriften in Verbindung mit einer Zustandsbeschreibung des ländlichen Raums. Hier geht es dann vor allem um eine schrumpfende Daseinsvorsorge und den Abbau der bisher vorhandenen Infrastruktur.

Über das Alltagsarrangement und die tatsächlichen Empfindungen der Bewohnerinnen und Bewohner, die sich seit Jahren mit dieser Entwicklung auseinandersetzen, wird nur sehr vereinzelt differenziert berichtet. Oder, wie ich es auch wahrnehme, ihnen wird gänzlich Handlungsinkompetenz und Rückständigkeit unterstellt. Auch in wissenschaftlichen Publikationen finde ich Typisierungen, die Personen aus dem ländlichen Raum als „Trotzige Macher“ oder „Verbitterte Resignierte“ bezeichnen. Dass hier eine „Peripherisierung in den Köpfen“, eine Verdrängung derjenigen an den Rand der Gesellschaft, stattfindet, ist nicht verwunderlich.

Nun ist die Aussage des Professors erstaunlich direkt. Dennoch, ich finde mich sowohl im alltäglichen auch universitären Kontext immer wieder in Gesprächen, in denen wir uns die Frage stellen: Wie können wir über Bewohnerinnen und Bewohner des ländlichen Raums reden und dabei Beschreibungen so nutzen, dass diese eben nicht per se eine negative Assoziation hervorrufen, sondern Gegebenheiten differenziert und sachlich darstellen. Uns fehlen manchmal die Worte – auf vielen Ebenen.

Eine Möglichkeit ist es, das vermeintliche Gegenteil zu nutzen. An dieser Stelle kommt das Wort „Raumpionier“ ins Spiel. Raumpioniere sind Personen, die alternativen Ansätze und Strategien anbieten, um Probleme in Dörfern zu entschärfen. Es gibt eine Vielzahl an Projekten, bestimmt auch in Ihrer Nähe. Ich möchte all den Initiativen, Vereinen und Genossenschaften, die sich als solche verstehen, nicht ihren (Mehr-)Wert absprechen. Wie schön, dass es sie gibt! Sie tragen wesentlich zum Aktivsein im ländlichen Raum bei. Vor allem, wenn es um künstlerisch-kulturelle Tätigkeiten geht, geben sie dem Dorf eine Art USP, ein Alleinstellungsmerkmal auf weiter Flur – im wahrsten Sinne des Wortes. Doch ich spreche auch mit Bewohnerinnen, die sich die Frage stellen: Was machen die da eigentlich? Denn häufig machen sie das, was vor Ort schon immer gemacht wurde: Selbstversorgung, gemeinsame Veranstaltungen, „Upcycling“, d.h. gebrauchte Dinge weiter zu nutzen und anders als gedacht zu verwenden.

Und ich kann es auch nicht leugnen: ich werde empfangen mit selbstgebackenem Kuchen und Kaffee in Porzellankaffeekannen und alles stimmt und fühlt sich warm an – das Klischee eines harmonischen, friedlichen Landlebens ist erfüllt. Und für meine Gesprächspartnerin ist es Alltag, das Übliche. Besonders ist, dass ich gekommen bin. Ich, diejenige, die sich für das scheinbar Alltägliche interessiert. Ich, die das Übliche hinterfragt. Ich sitze in der Küche, im Esszimmer, im Garten. Ich bin diejenige, die hier etwas Sonderbares macht.

Mein Anliegen ist es, Lebenswelten von Bewohnerinnen und Bewohner des ländlichen Raums in all ihren Facetten hervorzuheben. Ein Farbspektrum aufzuzeigen, dass zwischen idyllischem Bunt und tristem Grau changiert. Meines Erachtens sollte dies Anspruch (ver)öffentlich(t)er Meinung sein.

In den Gesprächen wird die Differenz zwischen dem Fremd- und Selbstbild, um eine sachliche und unvoreingenommene Darstellung, nicht in der Intensität geführt, wie ich es – auch hier in diesem Blog – zunächst dargestellt habe. Das heißt, all die Vorstellungen und Stereotypen darüber, was andere über Bewohnerinnen des ländlichen Raums halten, auch, wie Bewohnerinnen in unterschiedlichen Diskursen gezeichnet werden, haben für die Bewohnerinnen selbst nicht so viel Bedeutung. Darüber wird einfach viel weniger und auch nicht so ausführlich diskutiert. Was nicht bedeuten soll, dass hierfür keine Sensibilität besteht.

Vielmehr geht es in den geführten Gesprächen um die Dimensionen des alltäglichen Da-seins und Da-bleibens, um lebensgeschichtliche Erfahrungen und biographische Gelegenheiten: um Aufenthalte in Suppenküchen in Los Angeles, es geht um berufliche Präsentationen in den Metropolen des Landes, es geht um Fernbeziehungen nach Kattowitz und es geht auch um die Gedanken zur Einschulung der großen Tochter, um die Pflegebedürftigkeit der Mutter und die Finanzierung des neuen Autos. So weit, so (un-)gewöhnlich. Eben dieses Alltagsarrangement der Bewohnerinnen des ländlichen Raums ist geprägt von den spezifischen Bedingungen vor Ort, keine Frage. Nur für wen ist hier was spezifisch? An welcher Stelle wird das Alltägliche zum Sonderbaren? Sie finden keine Antwort? Gut so! Bleiben sie irritiert, fragend. Ich habe auch (noch) keine Antwort aber eine Haltung.

Kontakt: melanie.ruehmling@gmail.de

Autorin: Melanie Rühmling, M.A. der Bildungswissenschaft, Doktorandin am Institut für Soziologie und Demographie der Universität Rostock

https://www.isd.uni-rostock.de/isd/forschung/institutionelle/ruehmling/

 

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