Von Tobias Nagel
Warum zieht jemand in ein Gebiet von Deutschland, das allgemein zwar als touristisch attraktiv wahrgenommen wird, aber ansonsten eher im Ruf von Arbeitslosigkeit und Rechtsextremismus steht? Wie vollzieht sich das Leben dort? Welche Bedeutung hat es für die Personen auf dem Land zu leben? Meine Studie „Der Mecklenburger ist schon froh, wenn er seine Ruhe hat?“ ist genau diesen Fragen nachgegangen. Entstanden ist sie im Rahmen eines geografischen Master-Projekts bei Frau Dr. Julia van Lessen (geb. Rössel) an der Universität Mainz.
Im Sommer 2016 wurden in mehreren Interviews Menschen befragt, die ihren Wohnort in den vergangenen Jahren von der Stadt auf das Mecklenburgische Land verlegt haben (siehe Karte). Die Zugezogenen stellen ihre Lebenssituation dar und geben Einblicke, wie sie sich das Leben auf dem Land vorstellen.
Im Mittelpunkt der Arbeit standen vor allem die Bedeutungen, die die Zugezogenen ihrem neuen Wohnort zuschreiben. Das sind fast ausschließlich positive.
Der Wohnort wird mit Vokabeln wie Landleben oder als ländliches Leben verknüpft und steht im Gegensatz zum vorherigen Leben in der Stadt. Das neue Leben grenzt sich aus der Sicht vieler Informanten stark von dem vorherigen Leben ab und wird in vielerlei Hinsicht mit eigenen Idealen, Ansichten und Werten befüllt und dementsprechend beschrieben.
Bedeutungen werden auf mehreren Ebenen produziert. Aus den Zitaten der Zugezogenen wird deutlich, dass dem Umzug auf das Mecklenburgische Land entsprechende Wünsche und Vorstellungen vorausgingen. Neben dem allgemeinen Wunsch ein Zuhause zu finden, sehnten sich die Befragten u.a. nach Entfaltungsmöglichkeiten auf eigenem Grundstück mit Garten oder einfach nach einem Ort der ihnen Ruhe und Zufriedenheit bringt. Aus diesen Wünschen wurden dann die oft genannten bewussten Entscheidungen. Interviewpartner 3: Hier geht es ja darum, dass man eine bewusste Entscheidung zu einem anderen Leben getroffen hat.“
Nachdem der Kauf bzw. das Mietverhältnis zustande kam, wurden materielle Aspekte in Angriff genommen und die eigenen Wünsche und Vorstellungen umgesetzt. Interviewpartner 2: „Wir haben hier richtig Dach abgerissen und Decken rausgenommen. Eine Kernsanierung des Hauses durchgeführt […]. Wände haben wir rausgenommen, aber oben jetzt neue gezogen. Du musst dir das so vorstellen: Vorher war das Haus eineinhalb Etagen hoch. Oben war nur sonn´ Heuboden. Und das gesamte Haus ist um 70cm höher geworden. So, dass man oben eine vollwertige Etage hat.“ Dadurch, dass das vorgefundene Haus nach den eigenen Vorstellungen umgebaut wird, entspricht es anschließend dem eigenen ästhetischen Anspruch.
Ähnlich formuliert es Interviewpartner 2: „[D]as Problem mit den neugebauten Häusern ist, dass die grundsätzlich nicht meinen ästhetischen Ansprüchen genügen. Und deshalb kam für sonne Sache, wenn man die einmal im Leben macht, nur ein altes Haus in Frage, welches eben auch einen bestimmten ästhetischen Wert hat. Es geht ja nicht einfach nur darum, in deiner weißverputzten Bude zu hocken und rauszugucken ins Grüne. Es geht ja um das Gesamtkonzept.“
Das Leben auf dem Mecklenburgischen Land bedeutet für alle Befragten, ein positives, gutes Leben zu führen; ein ländliches Leben zu führen. Es wurden bis auf sehr wenige Ausnahmen nur positive Aspekte für die neuen Lebensumstände angeführt.
Für viele der Zugezogenen bedeutet das Leben auf dem Mecklenburgischen Land Freiheit. Durch die hinzugewonnene Grundstücks- bzw. Wohnfläche beziehen sie sich in erster Linie auf eine physisch-räumliche Ausprägung mit Möglichkeiten freier, kreativer Entfaltung und Unabhängigkeit. Hierzu zählt z. B. das Anlegen eines Gartens. Zum anderen können die Zugezogenen auf ihrem eigenen Grundstück Dinge tun und lassen wie sie es möchten, ohne zu viel Rücksicht nehmen zu müssen.
Auch wenn die Alteingesessenen von den Zugezogenen in manchen Fällen als stur und engstirnig beschrieben werden, bedeutet für viele der Befragten das Leben in Mecklenburg Gemeinschaft. Viele der Zugezogenen geben ein sehr harmonisches Bild ihrer Dorfgemeinschaft wider, es werden verschiedene Feste und Aktivitäten von den Dorfbewohnern zusammen geplant und veranstaltet. Dabei entstehen zum Teil freundschaftliche Verhältnisse. Es war vielen der Zugezogenen wichtig, dass sich die Anzahl der Menschen, die sie in ihrem Alltag umgeben, auf eine überschaubaren Gemeinschaft reduziert. Das Verhältnis zu den Menschen am Ort wird als offen, ehrlich und mit einem fürsorglichen Charakter beschrieben.
Einige der befragten Personen sagen, dass der neue Wohnort ihr Zuhause, ihre Heimat gewor- den ist, die sie perspektivisch nicht mehr verlassen wollen. Sie wünschen sich vielmehr, dass ihre Familie und auch kommende Generationen am jetzigen Wohnort ihr Zuhause haben. Es soll eine Art innere Bindung zum Wohnort aufgebaut werden, die gleichzeitig identitätsstiftend sein soll.
Weiterhin bedeutet Mecklenburg für die Befragten Nähe und Verbundenheit mit der Natur. Für manche der Informanten bedeutet Natur schon das Anlegen eines Gartens bzw. das Arbeiten und Ernten darin. Andere wollten schon immer ihre Tiere direkt am Haus bzw. im Stall haben, und so mit bzw. von den Tieren leben. Außerdem bedeutet das Leben auf dem Mecklenburgischen Land auch ein Leben in der Idylle und der Schönheit der Natur. Neben der ästhetischen Freude an der örtlichen Natur wird auch deren Wertschätzung durch die Mitbewohner als positiv erlebt: (IP3) Diese Idylle wird ja nicht von mir gelebt, sondern von vielen Leuten hier im Ort (434).
Eine weitere Bedeutung, die Mecklenburg durch die Zugezogenen zugeschrieben wird, ist die ökonomische Unabhängigkeit und die ökonomische Sicherheit. Durch den Erwerb einer Immobilie in Mecklenburg sehen sich viele der Informanten ökonomisch für die Zukunft abgesichert. Das Geld, was vorher für die Miete aufgewendet wurde, wird nun in den meisten Fällen dazu genutzt, den Kredit bei der Bank abzubezahlen und damit im Verlauf der Zeit ökonomisch unabhängig zu werden. Das Leben auf dem Mecklenburgischen Land bedeutet außerdem in vielerlei Hinsicht eine finanziell günstige Alternative zum teuren Stadtleben, zumal die kommerziellen Einflüsse auf das Nötigste reduziert sind
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Mecklenburg bietet den Zugezogenen nach eigenem Empfinden eine (neue) Perspektive. Für einen Teil der Zugezogenen wurde die Stadt über die Jahre entweder zu langweilig oder sie litten unter der Reizüberflutung.. Das Leben in der Stadt wurde als nicht mehr zukunftsträchtig empfunden, deshalb kam es zum Umzug nach Mecklenburg, um dort ein neues Leben mit Perspektive anzugehen. Des Weiteren wird dem Leben auf dem Mecklenburgischen Land eine bessere Familienverträglichkeit zugeschrieben. Neben familiären Aspekten bietet Mecklenburg für manche der interviewten Personen auch arbeitstechnische sowie freizeitliche Vorteile, die sich in der Stadt in dem Maße nicht realisie – ren lassen.
Mecklenburg ist für die Befragten der Ort der Ruhe und Zufriedenheit. Für viele der Informanten bedeutet das Leben auf dem Land, dass sie nach den stressigen, schnelllebigen Jahren in der Stadt, zur Ruhe kommen. Mit zur Ruhe kommen sind vor allem gesundheitliche Aspekte und körperliches Wohlbefinden gemeint. Alle befragten Personen sind mit ihrem neuen Leben zufrieden. Dies lässt sich aus der Sicht mancher Befragter darauf zurückführen, dass die Luft in Mecklenburg besser als in der Stadt ist und wenn es gewünscht ist, absolute Ruhe herrscht.
Das letzte Bedeutungsfeld betrifft die gute Wohnform die die meisten der Zugezogenen in Mecklenburg sehen. Es ist zum einen eine sichere Wohnform, da sich die Kriminalität im Empfinden der Informanten in Grenzen hält. Außerdem können Kinder ungestört spielen, denn das Verkehrsaufkommen ist ebenfalls sehr gering. Zum anderen können die Häuser und Wohnungen der Zugezogenen nach erfolgter Genehmigung nach eigenem Gutdünken umgebaut und eingerichtet werden. Dabei spielen ästhetische Ansprüche an die Wohnform oft eine Rolle. In den meisten Fällen ist der hinzugewonnene Platz des neuen Domizils so groß, dass der Arbeitsplatz ganz oder teilweise in das Wohnobjekt integriert wurde.
So repräsentiert sich Ländlichkeit in Mecklenburg für die Zugezogenen in Form von Freiheit, Gemeinschaft, Naturnähe und -verbundenheit, ökonomische Unabhängigkeit und finanzielle Sicherheit, attraktives Wohnen, Perspektive und schließlich Ruhe und Zufriedenheit.
Kontakt: tonagel@students.uni-mainz.de
Autor Tobias Nagel hat nach einer Ausbildung zum Mechatroniker bei Nordex in Rostock Geographie und Sozialkunde in Mainz studiert.