Regionalidentität als Engagementmotiv?

Von Jens Reda

Der demographische Wandel ist seit einigen Jahren ein zentrales Thema in politischen und medialen Debatten in Deutschland. Insbesondere die steigende Lebenserwartung und die sinkende Geburtenrate werden dabei als Ausgangspunkt für sich selbstverstärkende Folgeeffekte wie Abwanderung, kommunale Schuldenlast oder eine sinkende Standortattraktivität ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Je nach Standort weisen diese Entwicklungen jedoch unterschiedliche Intensitäten auf. Während Metropolregionen auch zukünftig Bevölkerungszuwächse bescheinigt werden, stellen Abwanderung, Alterung und Geburtenrückgänge strukturschwache ländliche Räume schon jetzt vor große Herausforderungen. Geschlossene Dorfläden und Arztpraxen, sinkende SchülerInnenzahlen oder unausgelastete (Ab-)Wasserleitungen sind hier längst keine Seltenheit mehr.

Als Antwort auf diese Probleme wurden in den letzten Jahren zahlreiche Entwicklungsprogramme mit innovativen Handlungsansätzen initiiert. Dabei geraten vermehrt die Potenziale des Engagements von BürgerInnen für eine erfolgreiche ländliche Entwicklung in den Fokus. Bürgerschaftliches Engagement wird als ausschlaggebend für innovative und regional spezifische Lösungswege angesehen. Neben den allgemeinen Attributen der Freiwilligkeit, Gemeinwohlorientierung sowie einer grundsätzlichen Öffentlichkeit und fehlenden materiellen Gewinnausrichtung werden hier v.a. die starke regionale Verbundenheit sowie das besondere Problembewusstsein der Engagierten in ländlichen Räumen beschworen.

Trotz dieser politischen Aufmerksamkeit wurde den Wahrnehmungen und Handlungsmotiven der Engagierten selbst bisher wenig Beachtung zuteil. Die bisherigen wissenschaftlichen Studien, die sich explizit mit bürgerschaftlichem Engagement in ländlichen Räumen befassen, diskutieren v.a. die Möglichkeiten und Grenzen des Engagements für die Aufrechterhaltung von Daseinsvorsorgeleistungen. Dabei geht es z. B. um den Bürgerbus, die Freiwillige Feuerwehr oder Dorfladenkonzepte und Nachbarschaftshilfen. Aber wie passen solche politischen Ansprüchen an bürgerschaftliches Engagement zu den subjektiven Denk- und Handlungsmustern von Engagierten?

Eine am Geographischen Institut der Universität Kiel durchgeführte Studie konnte zeigen, wie wichtig eine solche Perspektive für das Verständnis bürgerschaftlichen Engagements in ländlichen Räumen sein kann. Auszüge aus der Studie sind auf Anfrage beim Autor erhältlich. Als Beispiel diente das Modellvorhaben LandZukunft, das in den Jahren 2011-2014 vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirt¬schaft (BMEL) gefördert wurde. Die Studie untersucht auf der einen Seite, welche Bedeutungen dem Engagement von BürgerInnen in den Programmdokumenten zugeschrieben werden. Andererseits wurden durch Interviews Wahrnehmungen von BürgerInnen erfasst, die sich in lokalen LandZukunft-Projekten engagiert haben. Dabei ergibt sich folgendes Bild.
Die Programmdokumente räumen dem bürgerschaftlichen Engagement eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung ländlicher Räume und bei der Bekämpfung von Negativentwicklungen, wie z.B. Abwanderung bzw. Standortabwertungen, ein. Dabei ist der Engagementbegriff hier v.a. auf die regionale Wertschöpfung und die Zukunftsfähigkeit der Region ausgerichtet. Die Darstellung von Engagement als zentraler Faktor der Regionalentwicklung unterstellt den Engagierten eine ökonomisch-rationale Handlungslogik. Anders geprägte Formen des Engagements wie bspw. traditionelles Ehrenamt außerhalb von LandZukunft werden dadurch jedoch nicht unmittelbar aus dem Bereich der ländlichen Entwicklung ausgeschlossen, sondern vielmehr durch den Bezug auf ein gemeinsames Handlungsmotiv integriert. Dafür ist der Raumbezug entscheidend. So ist neben der Regionalisierung der demographischen und ökonomischen Problemlagen auch die Betonung einer starken regionalen Verbundenheit von BewohnerInnen ländlicher Regionen festzustellen. Die Region wird als zentraler Bezugsrahmen und grundlegendes Handlungsmotiv für das Engagement aufgefasst. Das Modellvorhaben LandZukunft reproduziert damit die Logik einer regionalen Identität, die sich seit den 1980er Jahren als dominantes Handlungsmotiv in europäischen Regionalentwicklungspolitiken etabliert hat.

Mit Blick auf die lokale Ebene konnte die Studie jedoch zeigen, dass die Engagierten ihr Engagement oftmals ganz anders sehen als in den Programmdokumenten angenommen. Während Parallelen zur Programmebene in der Identifikation von regionalen Problemlagen noch deutlich hervortreten, wird die ökonomische Logik vielmehr in andere Begründungszusammenhänge gestellt. So ist das Engagement der Personen im Rahmen von LandZukunft zwar durchaus von einer ökonomischen Wertschöpfungslogik geprägt, doch charakterisiert sich diese vorrangig durch einen Bezug auf das eigene Wohl. Die Gemeinwohlorientierung des Engagements kommt zwar in einem Verantwortungsgefühl gegenüber einer Gemeinschaft zum Tragen, doch sind hier neben dem Bezug zur Region auch vielfach andere soziale Identifikationsangebote wie das „Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Familie“ oder ein „Verantwortungsbewusstsein gegenüber seinem Berufsstand“ handlungsrelevant. Darüber hinaus sind die Entscheidungen, sich im Rahmen von LandZukunft zu engagieren, häufig auf persönliche Kontakte und Pragmatismus zurückzuführen: „Ja wir wurden da angesprochen […] und dann haben wir uns angemeldet und somit ist das hier passiert“. Die dominante Position einer regionalen Identität als grundlegendes Handlungsmotiv wird somit in den Wahrnehmungen und Handlungen der an LandZukunft beteiligten Personen in Frage gestellt.

Damit bleibt durchaus offen, wie weit sich engagierte BürgerInnen tatsächlich durch Regionalidentität motivieren lassen. Ebenso bleibt fraglich, ob das Engagement den entworfenen ökonomischen Entwicklungslogiken folgt. Sicher ist die Einbindung bürgerschaftlichen Engagements in ländliche Entwicklungsansätze sinnvoll, jedoch scheint eine Sensibilisierung für die Deutungsmacht entwicklungspolitischer Programme und ihrer Auswirkungen auf die Lebensrealitäten der BewohnerInnen ländlicher Räume auf politischer Ebene ebenso angebracht. Denn auch wenn sich die Deutungsansprüche der Entwicklungsprogramme nicht zwangsläufig in den Wahrnehmungen der Engagierten wiederspiegeln, so kann das Engagement von BürgerInnen durch seine praktische Ausübung wesentlichen Einfluss auf die Ausgestaltung ländlicher Entwicklungs- und Förderpolitiken haben. Eine allzu starke Betonung regionaler Identität als Antriebskraft bürgerschaftlichen Engagements kann dabei über die Heterogenität der subjektiven Wahrnehmungen und lokalen Lebensrealitäten hinwegtäuschen und letztlich einer innovativen Regionalentwicklung im Weg stehen.

Kontakt: reda@geographie.uni-kiel.de

Autor Jens Reda hat 2013-2016 „Stadt- & Regionalentwicklung“ am Geographischen Institut der CAU Kiel studiert und ist dort jetzt Promotionsstudent
http://www.kulturgeo.uni-kiel.de/de/team/jens-reda

 

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