Beschleunigter Wandel eines Wortes: Grün

 

„Grün, grün, grün ist alles was ich hab“, heißt es in einem Kinderlied. Ich zwinge mich, ein Wort nüchtern zu betrachten, den Wandel eines Wortes eine kurze Strecke lang zu begleiten.

Angela Merkel forderte heute in ihrer Rede im EU-Parlament unter anderem auch (sinngemäß): „Europa muss grüner werden“. Der „Green Deal“ im Rahmen der Klimaschutzprogramme steht für – Zitat Merkel: „….eine grüne Wirtschaft, die die Wettbewerbsfähigkeit in Europa schützt und stärkt“. Das meint sie ernst und ohne Arg. Ich nehme es ihr ab. Dass Natur und die Förderung von Wettbewerbsfähigkeit einander letztendlich auf Dauer ausschließen, darf nicht mitgedacht werden. Dass eine „grüne Wirtschaft“ einen Widerspruch in sich mit transportiert, wer bemerkt das und fragt noch mal nach?

Ich suche in den Vorstellungsbildern, die sich beim Hören des Politikerwortes „Grün“ einstellen, umsonst nach der Naturfarbe Grün.

Einst galt Grün als Inbegriff der Natur. Grün war das Wort für Leben. Wiesen und Wälder, Frühlings-und Sommertage, eine Mischfarbe der Urelemente Wasser und Licht, Blau und Gelb. Grün beruhigt. Grün ist neben der Blaufarbe des Wassers eine Grundfarbe der Welt auf den Landkarten. Auch Parteien in aller Welt nennen sich seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts „grün“. Als sie sich gründeten, stand ihr wildentschlossenes Programm tatsächlich noch im naturgrünen Saft.

Grün aber gilt in den letzten zwei Jahrzehnten in der Sprache des Mainstream, der Politiker, nicht mehr als Zustand von Naturerscheinungen, ist in der politischen Begriffswelt keine Farbeigenschaft des Lebendigen, des Wachstums in „freier Natur“. Solange ein anderes Wachstum in unserer Lebenswelt dominiert und uns als Ver-braucher und Konsumenten mit sich und ihren weltdominanten Profitzielen voran treibt, wird das Wachstum, die Vielfalt, die Entwicklung von grünen Naturlandschaften in einst möglicher freier Entfaltung schrumpfen .

„Grün“ ist leider immer mehr ein Macherbegriff, eine Handlungsanweisung geworden.

Als Macherbegriff für nur einige wenige Akteure in der politischen und Wirtschaftslandschaft ein Machtbegriff, denn dort, wo „Grün“ gehandelt werden soll, muss Energie her. Man kann den Satz auch umdrehen.

Grün ist demnach ein Nutz-, ein Ausnutzwort für Energiegewinnung geworden, ein einst durchschaubares Alibiwort, das mit den Jahren an die Stelle aufklärerischen Bewusstseins getreten ist, aufgeladen mit Moral: denn wer gegen dieses „Grün“ ist, blockiert die Entwicklung, zeigt sich gar als unsozial und ist weltfremd,  so erfährt man manchmal, wenn man dagegen ist, einen Wald zu fällen, um eine Biogasanlage hinzubauen.  „Grün“ ist längst ein Begriff für die Energie, die man braucht, nein, brauchen soll, aber eben zunehmend mehr.

Würde das Drittel Konsumgüter jeder Art, das in aller Welt umsonst produziert wird, nicht produziert, hätten wir keine Grün-Konflikte. Doch um das Naturgrün zu vergrau(l)en, werden weiter Bäume gefällt, Wälder vernichtet, überall in der Welt. Grünfutter konsumierende Tiere, die dort massenweise grasen, sterben umsonst. Lebensräume seltener Arten verschwinden schneller, als wir hinschauen und protestieren können. Schnelle Energie muss her, für den Fleischwahn, den Mobilitätswahn, den Energiewahn des Produzierenmüssens ohne Innehalten. Darf ich das Wort „Wahn“ so verwenden? Ich denke, ja, denn wahn-sinnig ist alles, was sinnlos und unkontrolliert und ohne Rücksicht auf das Umfeld wächst und auf seinem Weg unbedacht Vernichtungsarbeit betreibt.

In den Tourismusprospekten unseres Landes wird Mecklenburg-Vorpommern als „Grünes Land“ bezeichnet. Es gibt wunderbare, fast unberührte Regionen in allen Gegenden unseres Bundeslandes. Andere Bestrebungen jedoch setzen seit Jahren das „Energieland“ durch. Bäume und Wiesen weichen auch in unseren Regionen immer mehr Biogasanlagen und Windparks zu Lande und zu Wasser. Wasser, Luft und Erde verlieren ihre Lebensraumfunktionen, Grünflächen werden für neue Infrastrukturen und Zuwegungen für immer versiegelt. Das Grün der Felder hier bei uns, auf denen Mais, Korn und Pappeln wachsen, ist das Energiegrün für die Vernichtung von Industriepflanzen in den Biogasanlagen und gleichzeitig der Natur, die sie verdrängen, um am Ende doch in vielen Lebensgegenden sinnvernichtende Energie zu gewinnen, die in letzter Konsequenz zunehmend mehr Naturgrün vernichten wird. Auf einer Feuchtwiese bei Luckow trafen sich vor wenigen Jahren noch alljährlich zahlreiche Störche auf Futtersuche. Ich erinnere mich, so manche MalerkollegInnen suchten diesen Ort auf. Heute verhindert ein dichter Energiepappelwald ihr Überleben. Da ist keine Beruhigung zu erwarten, da ist bald nichts mehr im „Grünen Bereich“.

Kontakt: janz.a@web.de

Autorin: Angelika Janz, geb. 1952 in Düsseldorf, Studium Germanistik, Kunstgeschichte, Philosophie, Museumspädagogin.
1991 Übersiedlung nach Vorpommern. Seitdem Organisation zahlreicher Festivals in M-V, Einrichtung von Jugendclubs, Kunst-und Hörspielwerkstätten und 2005 Gründung der KinderAkademie im ländlichen Raum. Zahlreiche Einzel-und Gruppenpublikationen, Ausstellungen, Kataloge, Beiträge im Netz, Preise und Auszeichnungen. Näheres: https://de.wikipedia.org/wiki/Angelika_Janz

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